[Verkehrte Beurteilung wichtiger Erfindungen durch Gelehrte.]


Die hervorragendsten Erfindungen der Neuzeit gaben ebenfalls manchem Gelehrten Gelegenheit, eine erstaunliche Urteilsbeschränktheit zu offenbaren. Der Bericht Franklins über seine Beobachtungen, die zur Erfindung des Blitzableiters führten (die Fortleitung der atmosphärischen Elektrizität durch einen Eisenstab), erregte bei den gelehrten Herren der Royal Society in London nur Gelächter. Diese verweigerten auch die Drucklegung des Franklinschen Vortrages. Dem Erfinder der Gasbeleuchtung, dem Franzosen Leban, der 1804 starb, wurde eingewendet, daß eine Lampe ohne Docht nicht brennen könne, und seine Erfindung wurde auch in Paris erst 14 Jahre nach seinem Tode verwertet, nachdem bereits 1805 Birmingham mit der Gasbeleuchtung vorangegangen war. Als es sich um die Einführung der Eisenbahn handelte, wurden in verschiedenen Ländern von gelehrter und ungelehrter Seite die schwersten Bedenken gegen dieses Verkehrsmittel geltend gemacht, Bedenken, die uns heutzutage fast unglaublich erscheinen. Etwas Besonderes wurde damals in Bayern geleistet. Ein Medizinalkollegium (oder eine Fakultät), dessen Gutachten eingefordert wurde, sprach sich dahin aus, daß die Zulassung der Eisenbahn als Verkehrsmittel eine schwere Schädigung der öffentlichen Gesundheit bedeute. Die blitzschnelle Bewegung der Wagen müßte bei den Reisenden eine Art Gehirnerschütterung, bei den Zuschauern Schwindel und andere nervöse Zufälle herbeiführen, und man müsse deshalb die Schienen mit hohen Holzwänden umgeben, um die Bahn den Blicken des Publikums zu entziehen. Indes hat in Frankreich selbst der große Naturforscher Arago noch 1838 die lächerlichsten Einwände gegen den Bau von Eisenbahnen vorgebracht, und auch Thiers, der hervorragende Staatsmann und Geschichtsschreiber, meinte, für die Bedürfnisse des Verkehrs genügten einige kurze Linien in der Nähe großer Städte; ausgedehntere Linien seien überflüssig. Gegen den Vorschlag, Amerika und Europa durch ein unterseeisches Kabel zu verbinden, machte der hervorragende Physiker Babinet geltend, indem er sich auf die Theorie des elektrischen Stroms stützte, daß eine Übertragung von Depeschen auf eine so große Entfernung nicht möglich sei. Am prägnantesten jedoch hat das Mitglied der Académie des Sciences, Bouillaud, gezeigt, welches Maß von Beschränktheit und Urteilsschwäche sich bei einem Gelehrten offenbaren kann, wenn dieser genötigt ist, sich mit ganz neuen Ideen zu befassen. Flammarion berichtet über den Genannten folgendes: "Ich selbst wohnte einst einer Sitzung der Académie des Sciences bei. Es war an jenem denkwürdigen Tage, als der Physiker Du Moucel den versammelten Gelehrten den Phonographen Edisons vorführte. Als der Apparat nach beendeter Erklärung nun zu reden begann, erhob sich einer der Akademiker, ein älterer Herr, und, durchdrungen von klassischer Bildung, voll edler Empörung über die Frechheit des Neuerers, stürzte er sich auf den Vertreter Edisons, packte ihn an der Gurgel und schrie: "Sie Schuft! Glauben Sie, wir lassen uns von einem Bauchredner zum besten halten?" Es war dies Monsieur Bouillaud. So geschehen am 11. März 1878. Was vielleicht noch komischer war — 6 Monate später, am 30. September in einer ähnlichen Sitzung, hielt es Monsieur Bouillaud für seine Pflicht, nach einer eingehenden Prüfung des Apparats die Erklärung abzugeben, er sei überzeugt, daß es nur eine geschickte Bauchrednerei sei, "man könne doch unmöglich annehmen, daß ein schäbiges Metall den edlen Klang der menschlichen Stimme wiedergeben könne." Ein Gegenstück zu der oben erwähnten Ungläubigkeit Gelehrter gegenüber wichtigen Fortschritten in den Naturwissenschaften bildet die Tatsache, daß unter den Anhängern des Spiritismus sich auch hervorragende Naturforscher finden (so u. a. der berühmte Forschungsreisende und Mitbegründer des Darwinismus Alfred Russel Wallace, der Chemiker und Physiker William Crookes, der Physiologe Charles Richet und der Astronom Flammarion).

 

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