[Die Dummheit des höheren Alters. Die Verschiedenheiten in dem Grad des geistigen Rückgangs im höheren Alter. Abschwächung der einzelnen psychischen Leistungen. Daraus resultierende Eigentümlichkeiten der Greisenpsyche. Die Altersbeschränktheit beim weiblichen Geschlecht und deren Früchte.]


Daß im Alter mit den Körperkräften auch die geistigen Fähigkeiten abnehmen, ist eine allbekannte Erfahrung, der auch der Staat durch eine Reihe von Maßnahmen Rechnung trägt. Der durch das Alter bedingte geistige Rückgang ist jedoch in den einzelnen Fällen sehr verschieden, und von denjenigen, welche noch in den 70er oder selbst in den 80er Jahren zu den größten wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen befähigt sind, bis zu jenen, welche in diesem Alter in höhere Grade geistiger Schwache verfallen und wie Kinder gepflegt werden müssen, finden wir alle möglichen Übergänge. Begreiflicherweise ist die geistige Einbuße, welche das Alter mit sich bringt, bei dem von Haus aus Beschränkten im allgemeinen mehr hervortretend als bei dem Wohlbegabten. Die psychischen Veränderungen, welche das Alter bedingt, sind, wenn auch in ihrer Stärke in den Einzelfällen außerordentlich wechselnd, doch im allgemeinen gleichartig, soferne es sich im Wesentlichen um Abschwächung der einzelnen seelischen Leistungen handelt. Man spricht vielfach davon, daß die Greise kindisch werden. Allein eine nähere Prüfung zeigt, daß eine Rückkehr zum kindlichen Verhalten im höheren Alter nur in sehr beschränktem Maße stattfindet und im allgemeinen die Psyche des Greises sich von der des Kindes weit mehr entfernt, als derselben sich annähert. Die Denkprozesse werden in den Greisenjahren langsamer und schwerfälliger, die Assoziationen weniger wechselnd und reichhaltig; die Phantasie verliert an Schwung und Lebhaftigkeit. Das Gedächtnis für die Erlebnisse der Gegenwart nimmt mehr und mehr ab, während die Reproduktion von Erinnerungen früherer Zeiten nur wenig beeinträchtigt sein mag. Die Sinne werden stumpfer, die Fähigkeit des Aufmerkens ist verringert, die Aufnahme neuer Gedanken und Eindrücke vollzieht sich langsam und schwer. Auch die Gefühlstätigkeit erfährt eine Abstumpfung. Vieles, was den Mann in mittleren Jahren lebhaft bewegte, läßt den Greis kühl; selbst schwere Schicksalsschläge können ohne nachhaltigen Eindruck bleiben.

Aus dem Angeführten resultiert eine gewisse Einschränkung des geistigen Horizonts und eine Verringerung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, die sich in verschiedener Weise kund gibt. Hierher gehört in erster Linie der Konservativismus des Alters, das zähe Festhalten an dem Gewohnten und Hergebrachten und die Ablehnung auch berechtigter Neuerungen. Hiermit verknüpft sich vielfach übermäßige Schätzung und Berücksichtigung von Untergeordnetem und reinen Äußerlichkeiten (Pedanterie, Schrullenhaftigkeit). Die kleinen Vorkommnisse des alltäglichen Lebens besitzen für den Greis eine ganz unverhältnismäßige Bedeutung, und jede Änderung derselben verursacht ihm Unbehagen. Eine Folge der Einengung des geistigen Horizonts und der damit zusammenhängenden Urteilsschwäche ist auch die Schwatzhaftigkeit des Greises, der in endlosen Erzählungen seine Erinnerungen auskramt, unbekümmert, ob dieselben den Zuhörer interessieren oder nicht.

Die Beschränktheit, die das Alter mit sich bringt, ist im allgemeinen beim weiblichen Geschlecht erheblicher, als beim männlichen und zeitigt beim ersteren manche Früchte wenig anziehender Art. Aberglaube, Bigotterie, Zank- und Klatschsucht, Unduldsamkeit, Eigensinn, auch Geiz wachsen gerne auf diesem Boden. Und wenn schon die Eigenschaften, die der Volksmund im allgemeinen dem alten Weibe zuschreibt, wenig anziehend sind, das bornierte alte Weib bildet gewöhnlich einen Typus, der auch dem ausgesprochensten Menschenfreund keinerlei Sympathie einflößt. Auf der anderen Seite muß aber auch zugegeben werden, daß intelligente Frauen nicht selten auch im höheren Alter eine recht bemerkenswerte geistige Regsamkeit und Gemütstiefe bewahren.

 

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